»Der Star auf jeder Teppichbahn im Kinderzimmer«: Holger Matthes über die Leidenschaft zu LEGO®

Anlässlich der Maker Faire 2023 in Hannover und unserer E-Book-Aktion haben wir mit unserem Autor Holger Matthes über seine frühe Leidenschaft für die LEGO®-Eisenbahn, die Graue Ära, die Suche nach Bauideen und die Sammelleidenschaft für LEGO®-Sets gesprochen. Ein Interview.

Hallo Holger, die wichtigste Frage zuerst: Wie alt warst du, als du begonnen hast, mit LEGO zu spielen – und an welches Set erinnerst du dich besonders gern?

Ich muss wohl zwei oder drei Jahre gewesen sein, als ich das erste LEGO Set zum Spielen bekam. Es war der kleine Gabelstapler #615.

In deinem Buch »LEGO®-Eisenbahnwelt« tauchst du tief in die 1980er Jahre ein. Welche waren die beliebtesten LEGO®Eisenbahnsets der 1980er Jahre, und was hat sie so besonders gemacht?

Das wohl beliebteste LEGO®-Eisenbahn-Set der 1980er Jahre ist der 12-V-Schnellzug #7740 von 1980. Er bildet den damaligen TEE der Deutschen Bahn perfekt als Spielzeug nach. Die große Lok und die beiden Wagen mit den abnehmbaren Dächern boten und bieten viel Spielwert. Dieser Zug war ein Star auf jeder Teppichbahn im Kinderzimmer.


Über Holger Matthes

Holger Matthes, geboren 1973, hat seine Liebe zum LEGO®-Hobby im Jahr 2000 wiederentdeckt. Seitdem sind zahlreiche LEGO®-Modelle aus den Bereichen Architektur und Eisenbahn entstanden. Diese Modelle stellt er auf seiner Hobby-Webseite und auf zahlreichen LEGO®-Ausstellungen im In- und Ausland vor. Holger Matthes war an verschiedenen LEGO®-Projekten beteiligt, z. B. dem Set »Hobby Train« (#10183) und Workshops zum Thema »Power Functions«. In jüngerer Vergangenheit widmet er sich der Darstellung von Bautechniken und digitalen Bauen.

Holger Matthes’ Handbuch »LEGO®-Eisenbahn« ist in 2., überarbeiteter Auflage erschienen und wurde ins Englische, Spanische, Italienische, Chinesische und Russische übersetzt.


Welche technischen Merkmale und Innovationen zeichneten die LEGO®-Eisenbahn der 1980er Jahre aus?

Die LEGO®-Eisenbahn der 1980er Jahre erreichte die größte Nähe zu einer richtigen Modelleisenbahn. Die Kabelfernsteuerungen für Weichen, Signale, Bahnübergänge und die seltene Entkupplungseinheit boten viel Spielwert, der dem einer »echten« Märklin Eisenbahn in nichts nachstand. Zusätzlich hatte der 12-Volt-Eisenbahnmotor genug Kraft, um die Züge schnell über die Gleise flitzen lassen zu können.

Wir wissen aus deinem Buch, dass du als Kind begeistert mit LEGO®-Eisenbahnen gespielt hast. Was hat dir daran gefallen – und wie erinnerst du dich heute daran?

Ja, als Kinder der 80er-Jahre hatte ich schon viele LEGO®-Sets aus verschiedenen Themenbereichen. Die LEGOLAND®-Stadt und die LEGO®-Eisenbahn passten perfekt zusammen und so entstanden meine eigenen Spielwelten. Da hatten die Feuerwehr und die Polizei immer jede Menge zu tun, wenn mal wieder ein Zug entgleist war. Zum Glück gibt es aus dieser Zeit ein paar wenige Farbfotos meiner LEGO®-Bauwerke. Und ich besitze immer noch alle alten Kataloge und Bauanleitungen aus meiner Kindheit. Wie die allermeisten habe ich leider die Originalverpackungen weggeschmissen und brauchte als Sammler einige Jahre, um auch diesen Teil eines alten LEGO®-Sets wieder zu vervollständigen.

Welche Sets hattest du denn – und hast du sie noch?

Auf meinem Wunschzettel stand natürlich auch der Zug #7740 ganz oben auf der Liste. Diesen habe ich auch immer behalten und nie auseinander gebaut. Damals als Kind fand ich Dampfloks altbacken und nicht modern und interessierte mich nicht für die Sets, die eine Dampflok enthielten. Schade, denn diese Dampfloks wurden aus vielen, seltenen Teile wie beispielsweise dem roten Eisenbahnmotor oder schwarzen 2×2 Fenstern gebaut. Mit dem Hintergedanken an das Buch über die LEGO®-Eisenbahn der 1980er Jahre habe ich in den letzten Jahren aber alle Sets dieser Zeit gesammelt. Zum Glück bin ich nicht mehr vom Taschengeld abhängig …

Auf meinem Wunschzettel stand natürlich auch der Zug #7740 ganz oben auf der Liste. Diesen habe ich auch immer behalten und nie auseinander gebaut.

Holger Matthes

In dieser sogenannten Grauen Ära gab es bekanntlich noch keinen YouTube-Stream im Kinderzimmer. Wie bist du auf neue Sets gestoßen, und wie hast du Spielideen gefunden?

Ich erinnere mich an kurze Berichte von der Nürnberger Spielwarenmesse, die immer am Jahresanfang im Fernsehen zu sehen waren. Mit etwas Glück wurden da auch neue LEGO®-Sets gezeigt. Und wahrscheinlich war ich ein ziemlich quengeliges Kind, wenn ich in die Nähe eines Spielwarengeschäfts kam. Da musste ich immer rein und das LEGO®-Regal genau inspizieren. In neuen Sets, die meist ab Januar zu kaufen waren, war damals auch immer ein kleiner Faltkatalog enthalten. Der gab einen ersten Blick auf die Neuigkeiten des Jahres. Schließlich dauerte es dann immer noch ein paar Wochen, bis endlich der große Jahreskatalog in den Spielwarengeschäften auslag.

Woher stammen die Inspirationen für deine MOCs? Siehst du auf dem Bahnhof eine Lok und fängst an zu überlegen, welche Teile für die Front passen?

Ja, genau. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt und überlege oft, welches LEGO®-Bauteil geeignet wäre, um ein markantes Detail des Vorbilds nachzubauen. Nicht alle Vorbilder treffe ich im realen Leben an. Aber das Internet ist ja voll von Bildern und Videos aller möglichen Eisenbahnen, aber auch anderer Fahrzeuge und Bauwerke.

Gab es in den 1980ern bereits Sammler, die sich auf LEGO®-Eisenbahnen ihrer Zeit spezialisiert haben? Wie sieht die Sammlerszene heute aus?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt auf alle Fälle heute AFOLs (Adult Fans of LEGO®) die nie die sogenannten Dark Ages (dunkle Phase) hatten, und somit nahtlos vom spielenden Kind zum Sammler geworden sind. Ob es in den 1980er-Jahren schon erwachsene LEGO®-Sammler gab, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wenn überhaupt muss das eine sehr kleine Nische gewesen sein und man(n) hat sich wohl kaum geoutet. Das hat sich erst mit der Verbreitung des Internets Ende der 1990er Jahre geändert. Viele junggebliebene LEGO®-Fans hatten ihr Coming Out und entdeckten, dass es noch andere Nerds auf diesem Gebiet gibt. Das war wohl der Beginn einer spannenden Entwicklung, heute ist LEGO® im Mainstream angekommen und der Konzern überschüttet die Fans mit großen, teuren Sets.

Welche Auswirkungen hatten die LEGO®-Eisenbahnen der 1980er Jahre auf das moderne LEGO®-Design und die heutigen Sets?

Insbesondere der Elektronik-Bereich bei LEGO® ist von keiner langen Kontinuität geprägt. LEGO®-Bausteine aus allen Jahrzehnten passen super zusammen. Ganz anders die elektronischen Komponenten. Das 12-Volt-System, auf dem die damalige LEGO®-Eisenbahn aufsetzte, verschwand schon Ende der 1980er Jahre. Ein nicht-kompatibles, neues 9-Volt-System bot die Grundlage für Light & Sound oder den Antrieb der Monorail. Später gab es auch 9-Volt-Eisenbahnmotoren. Diese Systemwechsel haben Bestand im Hause LEGO®. Mittlerweile wurde auch das Robotik-System Mindstorms vollständig eingestellt, und viele aktuelle Sets mit elektronischen Komponenten setzen auf ein aktuelles Smartphone als Fernbedienung. Ob sich solche Sets in 20 oder 30 Jahren noch genauso gut fernsteuern lassen, bezweifle ich doch sehr. Unsere Welt ist einfach zu schnelllebig geworden. Und LEGO® ist auf diesen Zug mit aufgesprungen und verdient sich eine goldene Nase.

Welche Herausforderungen gab es bei der Entwicklung und Produktion von LEGO®-Eisenbahnsets in den 1980er Jahren im Vergleich zu heute?

Ich vermute, die LEGO-Designer hatten damals viel mehr Freiheiten als heute. Der wirtschaftliche Druck, gewinnbringendes Spielzeug zu entwerfen, kann nicht so groß gewesen sein wie heute. Man dachte auch langfristiger und insbesondere bei der LEGO®-Eisenbahn war ein Systemgedanke zu erkennen. Zubehör und neue Züge, die Jahre nach der ersten Welle 1980 erschienen, reihten sich perfekt in das System ein. Sogar das Vorgängersystem aus den 1970er Jahren (die »Blaue Ära« mit ihren blauen Schienen) war zum Großteil kompatibel mit dem Eisenbahnsystem der »Grauen Ära«.

LEGO® hat damals seine eigenen Welten kreiert ohne sich verschiedener Lizenzen aus Film, Fernsehen und Popkultur zu bedienen. Piraten waren einfach Piraten und keine Jack Sparrows. Astronauten waren Astronauten und keine Luke Skywalkers und Darth Vaders. Auch das Farbspektrum der LEGO®-Steine war noch kindlich überschaubar. Es gab primäre Farben wie rot, gelb, blau. Da spielte es keine Rolle, dass der gelb-rote Superzug #7740 farblich nicht exakt zum beige-weinroten Vorbild passte. Gleichzeitig ist auch eine große Innovationskraft bei LEGO® zu entdecken, insbesondere zu Beginn der »Grauen Ära« 1980 als sehr viele neue Baustein-Formen – nicht nur eisenbahnspezifisch – die Spritzgussformen verließen.

Piraten waren einfach Piraten und keine Jack Sparrows. Astronauten waren Astronauten und keine Luke Skywalkers und Darth Vaders. Auch das Farbspektrum der LEGO®-Steine war noch kindlich überschaubar. Es gab primäre Farben wie rot, gelb, blau.

Holger Matthes

Denkst du, dass LEGO® die Kreativität und das räumliche Denken von Kindern fördert – und beeinflusst das Spiel möglicherweise sogar die Wahl von Hobbys oder eines Berufs? Sprich: Werden aus LEGO®-Kids überdurchschnittlich viele Ingenieurinnen, Handwerker oder Architekten?

Ich bin kein Forscher und Empiriker und kann daher nur spekulieren, ob das LEGO®-Spiel Einfluss auf die spätere Wahl des Berufs oder Hobbys hat. Ich höre immer wieder, dass die heutigen »LEGO®-Kids« das Set nur einmal nach Anleitung aufbauen und dann kurz damit spielen. Aber es wird nicht auseinander oder umgebaut und mit den restlichen Steinen aus anderen Sets kombiniert. Hier scheint viel Kreativität verloren gegangen zu sein. Schwer vorstellbar, dass solche Kinder später kreative oder konstruierende Berufe ergreifen.

Daneben gibt es auch viele Kinder, die mit allem möglichen, nicht nur mit LEGO®-Steinen, kreativ spielen, basteln und bauen und sich so ihre eigenen Welten erfinden. Ob es da aber einen Zusammenhang zum späteren Beruf oder Hobby gibt, müssten mal die Wissenschaftler rausfinden.

Holger, wir danken dir sehr für das spannende Gespräch.

Das Interview führte Corina Pahrmann für den dpunkt.verlag.